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20.06.2022

Nachgefragt bei Amtschef Hubert Bittlmayer: „Wir hätten drei Millio-nen Menschen ein Jahr lang ernähren können. Aber die Bundesregie-rung betreibt lieber ideologische Prinzipienreiterei als pragmatische Hilfen anzupacken“.

Hubert Bittlmayer, Amtschef des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, wird am 29. Juni 2022 auf der VGMS-Getreidetagung in Weihenstephan sprechen und darüber berichten, wie Versorgungssicherheit in Deutschland heute und morgen aussehen kann, was es braucht, damit die ökologische Wende gelingen kann und was die „kleine Wasserkraft“ damit zu tun haben könnte. Im unserer Rubrik „Nachgefragt“ gibt er im Vorfeld zur Getreidetagung schon Antworten auf drei Fragen zu aktuellen Entwicklungen in der Agrar- und Energiepolitik.

Wie sieht Versorgungssicherheit – in Deutschland und der Welt – langfristig aus? Und wie passt das mit dem Ziel europäischer und deutscher Politik zusammen, die Landwirtschaft deutlich zu extensivieren?

„Deutschland hätte – wie andere EU-Mitgliedsstaaten – einen solidarischen Beitrag leisten können, in dem wir auf unseren ökologischen Vorrangflächen für ein Jahr lang Nahrungsmittel produzieren. Wir hätten rein rechnerisch dadurch drei Millionen Menschen ein Jahr lang ernähren können. Die EU-Kommission hat diese schnelle Hilfe wegen des Kriegs rechtlich ermöglicht, andere EU-Länder setzen dies auch um. Aber die Bundesregierung betreibt lieber ideologische Prinzipienreiterei als pragmatische Hilfen anzupacken. Das ist falsch und wird unserer humanitären Verantwortung nicht gerecht.

Feststeht: Wir dürfen bei Nahrungsmitteln keinesfalls den Fehler machen wie bei der Energieversorgung und von Importen abhängig werden. Vielfach besteht die Meinung, dass Sicherung der Ernährungssouveränität gleichzeitig bedeutet, dass wir beim Klima-, Umwelt- und Ressourcenschutz die Rolle rückwärts machen. Die Herausforderung ist eben, beide Seiten unter einen Hut zu bringen. Unser Credo lautet: Ernährungssicherheit und Klimaschutz und Biodiversität. Hier gilt es smarte Lösungen anzuschieben.

Bayern geht hier bereits heute voran, beispielsweise mit unserem erfolgreichen Kulturlandschaftsprogramm. Im Jahr 2022 stehen über 337 Mio. Euro zur Verfügung, insbesondere auch zur Unterstützung von produktionsintegrierten Maßnahmen im Bereich Klima- und Ressourcenschutz sowie Biodiversität. Gleichzeitig werden aber auf den Flächen auch noch Nahrungsmittel erzeugt. Der Grundsatz muss hier lauten: Schützen und Nützen.

Dieser Weg der Agrarpolitik stellt auch sicher, dass wir unsere Bevölkerung sicher ernähren können und als „landwirtschaftliche Gunstregion“ unserer humanitären Pflicht zur Unterstützung anderer Länder, die auf Getreideimporte angewiesen sind, nachkommen können.“

Der Bio-Anteil auf dem Lebensmittelmarkt lag im Jahr 2020 bei gut 6 Prozent. In Zukunft sollen 30 Prozent der Lebensmittel in Deutschland ökologisch erzeugt werden. Wie kann das zusammen gehen? Insbesondere angesichts der Tatsache, dass die Inflation heute schon die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln sinken lässt?

In den vergangenen Jahren haben Bio-Lebensmittel stetig Marktanteile gewonnen. Während der Corona-Pandemie hat sich dieser Trend noch verstärkt. Längst haben Biolebensmittel die reinen Bioläden verlassen und die Discounter erreicht. Die Inflationsrate in Deutschland lag im Mai 2022 im Vergleich zum Vorjahr bei 7,9 Prozent, bei Lebensmitteln sogar bei 11,1 Prozent. Selbstverständlich stellt dies viele Verbraucherinnen und Verbraucher vor große Herausforderungen. Wenn man sich vor Augen führt, dass viele Ausgaben, beispielsweise Miet- und Energiekosten, kaum beeinflussbar sind, bleibt oftmals nur als letzte Option bei Lebensmittelausgaben den Gürtel enger zu schnallen. Es besteht daher schon die Gefahr, dass bei Anhalten der Inflation der Absatz von Lebensmitteln im Premiumsegment stagniert oder sogar abnimmt.

Dies bestätigt einmal mehr: Ökolandbau muss sich entlang des Marktes entwickeln. Ökolandbau kann nicht staatlich verordnet werden! Dazu müssen wir auch gemeinsam daran arbeiten, dass Bioprodukte noch mehr Eingang in Verarbeitung und Vermarktung finden. Dies gilt besonders auch für Bereiche wie Gemeinschaftsverpflegung, Gastronomie und alle Handelsbereiche. Darauf sind die bayerischen Maßnahmen auch ausgerichtet. Wachstumschancen sehe ich aktuell insbesondere noch bei der Steigerung des Anteils regionaler Biolebensmittel. Auch dafür haben wir mit dem Bayerischen Biosiegel bereits gute Voraussetzungen geschaffen.

Wenn uns das gelingt und die Verbraucher mitziehen, werden Landwirte dann auch ihren Betrieb auf Ökolandbau umstellen, da der Absatz für ihre erzeugten Produkte gesichert ist und sie ausreichende Einkommenschancen sehen.

Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung in Berlin heißt es „Wir stärken regionale Wertschöpfungsketten und tragen zum Erhalt ländlicher Strukturen bei.“ Aktuell stehen die kleinen Wasserkraftanlagen vor dem Aus – politisch verordnet im Entwurf des EEG 2023. Ohne die Wasserkraft verlieren gerade die Mühlen in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen an Wettbewerbsfähigkeit – mit negativen Folgen für die regionale Wertschöpfung. Was läuft da schief?

Wir brauchen die erneuerbaren Energien mehr denn je; das zeigt gerade die jetzige schwierige internationale Situation bei Energierohstoffen. Das hat die Bundesregierung in ihrer Novelle des EEG damit hervorgehoben, indem sie der Errichtung und dem Betrieb von Erneuerbare-Energien-Anlagen ein „überragendes öffentliches Interesse“ zuschreibt. Das gilt auch für die Wasserkraft. Die Wasserkraft gehört traditionell fest zum bayerischen Energiemix. Um das gesamte Potential der Wasserkraft insgesamt noch besser auszuschöpfen, ist aber vor allem auch der Bund gefordert, denn das EEG ist ein Bundesgesetz. Und hier verstehen wir die Bundesregierung offen gestanden nicht, warum sie die kleine Wasserkraft grundsätzlich schlechter stellt. Nach unserer Auffassung brauchen wir in Zukunft auch diese kleinen Anlagen, um die ehrgeizigen Ziele zu erreichen.

Natürlich sind dabei die Auswirkungen von Querbauwerken auf den aquatischen Lebensraum zu beachten, gerade was strömungsliebende Fischarten oder wandernde Fischarten betrifft. Hier ist eine Abwägung zwischen wirtschaftlichem Interesse und dem Nutzen für den Klimaschutz gegenüber möglichen ökologischen Schäden sehr wichtig – aber auch möglich!

Zum Download:
VGMS-Pressemitteilung Nachgefragt