11. Wissenschaftliches Symposium in Würzburg – Wissenschaftler widerlegen Vorurteile gegen Weizen
Enthält moderner Weizen mehr Gluten und ATI als alte Sorten?
Katharina Scherf vom Leibnitz Institut in Freising hielt einen für die Getreidewirtschaft hoch spannenden Vortrag. Die Ergebnisse ihrer aktuellen Forschungsarbeit zu Glutengehalten in Weizen widersprechen dem Narrativ vom glutenreichen modernen Weizen. Scherf hat mit Ihrer Forschungsgruppe 60 Weizensorten aus dem Zeitraum von 1890 bis 2010, je fünf pro Dekade, untersucht. Ihr Fazit: Der mittlere Glutengehalt ist seit 120 Jahren nicht gestiegen. Dass Weizen heute so gut backfähig ist, liegt vermutlich an einem veränderten Verhältnis der beiden Proteinfraktionen des Glutens. Enthielten alte Sorten mehr Gliadin und weniger Glutenin, ist das Verhältnis bei modernen Sorten umgekehrt. Glutenin ist verantwortlich für die Ausbildung von Teig- und Krumenstruktur beim Brotbacken.
In einem weiteren Projekt gemeinsam mit Friedrich Longin untersuchte die Forschergruppe des Leibniz Instituts um Katharina Scherf die ATI-Gehalte von Weizen und Durum sowie der alten Weizenarten Emmer, Einkorn Dinkel. ATI – Amylase-Trypsin-Inhibitoren – sind Schutzstoffe, die die Pflanze gegen Fraßfeine bildet. So konnte eine weitere Hypothese von Weizenkritikern kassiert werden: ATI ist kein Stoff, der nur in modernen Weizensorten vorkommt. Denn sowohl Weizen als auch Dinkel enthalten ähnlich viel ATI, Durum und Emmer wenig, und nur Einkorn fast gar keine ATI beziehungsweise ATI-Proteine, die so bisher nicht bekannt sind.
Über die Struktur von ATI-Protein und den Abbau von FODMAPS
Pflanzenforscher Friedrich Longin von der Uni Hohenheim arbeitet ebenfalls an einem Forschungsprojekt zum Thema ATI. Er bestimmt für 150 Weizen- und 10 Dinkelsorten angebaut an drei Standorten die Zusammensetzung der ATI-Proteine. Die gewonnenen sortenspezifischen ATI-Extrakte werden dann von Detlef Schuppan und Stefan Tenzer an menschlichen Zellkulturen getestet um Stressreaktionen zu messen. Ziel ist es, mögliche ATI-Aktivität den einzelnen ATI Proteinen zuweisen zu können. Falls bewiesen wird, dass ATIs Zellstress auslöst, kann im nächsten Schritt geprüft werden, um welche spezifischen ATI-Proteine es sich dabei handelt und ob züchterisch ein low-ATI Weizen umsetzbar wäre.
Ein weiteres Projekt des Hohenheimer Pflanzenzüchters beschäftigte sich mit fermentable oligo-, di- and monosaccharides and polyols, abgekürzt FODMAPS. Sie stehen ebenso wie ATI im Verdacht, Getreideprodukte für bestimmte Menschen weniger gut verträglich zu machen. Sie sollen hauptsächlich für das sogenannte Reizdarmsyndrom verantwortlich sein. Longin untersuchte den FODMAPs-Gehalt in unterschiedlichen Getreidearten. Durum und Emmer so das Ergebnis, hatten etwas weniger FODMAPs als Dinkel, Weizen oder Einkorn. Der viel größere Effekt wurde allerdings bei der Teigbereitung beobachtet. So bewirkte eine Verlängerung der Teigruhe von einer auf vier Stunden, dass fast alle FODMAPs durch die Hefe abgebaut worden waren. Longin forderte weitere Studien zu diesem Thema aus dem Bereich der Backtechnologie inklusive der Betrachtung der Auswirkungen von Zusatzstoffen oder Enzymen, die heute in der Bäckerei eingesetzt werden, um mehr über die Verträglichkeit von Backwaren sagen zu können.
Kritik an ATI-These und freiwilligem Glutenverzicht durch Imke Reese
Ernährungstherapeutin Imke Reese stand in ihrem Vortrag der unter anderem von Detlef Schuppan postulierten ATI-Hypothese kritisch gegenüber. Schon die Vermutung, die ATI passierten einfach so die Darmwand, mache sie an der These stutzig, so Reese. Bisher gibt es weder validierte Diagnose-Kriterien, noch Biomarker und auch keine geklärten Pathomechanismen, die helfen, die ATI- ebenso wie die Gluten-Unverträglichkeit zu beschreiben.
Ähnlich kritisch ging Sie mit freiwilligem, unbegründetem Glutenverzicht ins Gericht. Das Weglassen von gluten- bzw. weizenhaltigen Lebensmitteln führe automatisch zu einer Veränderung des Ernährungsverhaltens und damit auch zu Veränderungen in der Verdauung. Allein das habe bereits Auswirkungen auf das Befinden des Patienten, sagte die Ernährungstherapeutin. Zudem schränke der freiwillige Glutenverzicht auch die Verlässlichkeit der Zölliakiediagnostik unnötig ein.
Das Fazit von Imke Reese lautete deshalb: Die vermeintlichen „Bösen-Buben“ Gluten bzw. Weizen muss aus den Köpfen verschwinden, damit die Menschen wieder aus der Sackgasse der gluten- und weizenfreien Ernährung herauszukommen hin zu einer gesunden Ernährung.
Zum Download:
Presseinformation