Nachgefragt bei Professor Harald Grethe zu Möglichkeiten der Versöhnung der Europäischen Agrarpolitik mit Umweltpolitik und Gesellschaft
Professor Grethe, „Fridays for future“ und „Donnerstags für Dünger“: Die Gesellschaft scheint gespalten zwischen den Forderungen und Notwendigkeiten für mehr Umwelt- und Klimaschutz auf der einen und den Erfordernissen der Agrarwirtschaft zur Bereitstellung von qualitativ hochwertigen und quantitativ ausreichenden Lebensmitteln auf der anderen Seite. Wie schaffen wir hier Versöhnung?
Ich erlebe die Spaltung gar nicht so sehr zwischen Basis der Landwirtschaft und Breite der Gesellschaft, sondern eher an der Spitze der Interessenvertretungen. Aus Perspektive des Sektors ist Versöhnung meine ich nur dann möglich, wenn reale Probleme zum Beispiel bei den Nährstoffüberschüssen, den Treibhausgasemissionen oder dem Tierschutz anerkannt und adressiert werden. Defensivrhetorik hilft nicht. Gleichzeitig müssen berechtigte Interessen glaubhaft und breit kommuniziert werden: Beim Einsatz moderner Technologien in der Pflanzenzüchtung, Sensorik und Robotik oder bei den Betriebsgrößen. Diese beiden Aspekte gehören meine ich zusammen: Wer Probleme nicht ehrlich anerkennt, verliert in der Vertretung eigener Vorstellungen und Interessen Glaubwürdigkeit.
Viele Menschen scheinen unglücklich mit der Landwirtschaft zu sein: Sie lehnen Massentierhaltung, Pflanzenschutz oder Gentechnik ab, sind besorgt über das Artensterben und die Gewässerverschmutzung. Viele fordern eine Erneuerung, ein Umdenken der Branche für mehr Tierwohl, Klima- und Ressourcenschutz. Wie sieht Ihrer Meinung nach die Agrarwirtschaft 2050 in Deutschland aus?
Viele der formulierten Ansprüche stimmen ja in den großen Linien mit den fachwissenschaftlichen Empfehlungen überein, Tier- und Umweltschutz sowohl stärker einzufordern, wie auch stärker zu honorieren. Andere Ansprüche wie etwa die Ablehnung von Gentechnik oder großen Haltungseinheiten für Nutztiere sind wissenschaftlich kaum zu begründen. Wie sich die Agrarwirtschaft in diesem Spannungsfeld entwickelt ist offen: Es kommt darauf an, was wir daraus machen. Ich bin der Auffassung, dass langfristig eine stärkere Ausrichtung an gesellschaftlichen Zielen wie Tier- und Umweltschutz nicht nur dringend notwendig, sondern langfristig auch unvermeidbar ist. Wenn eine solche Neuausrichtung erfolgt, können wir 2050 eine starke Agrarwirtschaft haben, die gleichzeitig in international offenen Märkten operiert und sich konsequent an inländischen Ansprüchen an den Tier- und Umweltschutz orientiert.
Welche Weichen muss die Agrarpolitik dafür stellen, welche die Agrarwissenschaften? Und wie schaffen sie es, jeweils in ihrem Bereich, die Deutungshoheit über das emotional verminte Feld zurückzuerobern?
Die Politik muss ihre ureigenen Aufgaben wahrnehmen: Eine Weiterentwicklung des ordnungsrechtlichen Rahmens und eine Neuausrichtung der Förderpolitik an gesellschaftlichen Zielen. Der gegenwärtige Handlungsstau im Ordnungsrecht und seiner Umsetzung etwa im Bereich Tierschutz in der Nutztierhaltung schafft große Unsicherheiten für den Sektor. Es ist nicht gut, wenn die Beurteilung der Haltungsbedingungen zunehmend der Rechtsprechung überlassen bleibt oder Kontrollfunktionen von der Zivilgesellschaft statt staatlichen Institutionen wahrgenommen werden. Ebenfalls problematisch ist das Festhalten der Politik an den Direktzahlungen in ihrer heutigen Form: Pauschalen Flächensubventionen. Damit wird Gestaltungskraft verspielt, denn man kann das Geld nur einmal ausgeben. Und die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Subventionspolitik nimmt weiter ab.
Die Agrarwissenschaften sind gefordert, ihre Erkenntnisse nicht nur innerhalb der Fachwissenschaft, sondern auch in den Sektor, die Politik und die Gesellschaft insgesamt hinein zu kommunizieren und komplexe, gesellschaftlich relevante Fragestellungen interdisziplinär zu bearbeiten.
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